Lärmbelästigung

8. November 2025

Lärmbelästigung ist eines der häufigsten Streitthemen im Miet- und Nachbarrecht. Ob laute Nachbarn, Baustellenlärm, Kinderlärm oder nächtliche Partys – die Belastung durch Lärm kann die Wohnqualität erheblich beeinträchtigen und zu nachhaltigen Konflikten führen. Die rechtliche Bewertung von Lärmbelästigungen ist komplex und von zahlreichen Einzelfallentscheidungen geprägt. In diesem Beitrag werden die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen, die Anforderungen an die Darlegung und den Beweis von Lärmbelästigungen, der Ablauf eines gerichtlichen Verfahrens sowie die Kostenaspekte umfassend dargestellt. Besonderes Augenmerk liegt auf der strategischen Vorgehensweise und der aktuellen Rechtsprechung.

1. Lärmbelästigung: Was ist rechtlich relevant?
Nicht jede Lärmeinwirkung ist rechtlich relevant. Die Gerichte differenzieren zwischen sozialadäquaten und unzumutbaren Lärmquellen. Während Alltagsgeräusche, insbesondere Kinderlärm, in gewissem Umfang hinzunehmen sind, kann übermäßiger, insbesondere wiederholter oder mutwilliger Lärm einen Unterlassungs- oder Minderungsanspruch begründen (vgl. LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, 6 S 40/07).
Die Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, erfolgt nach objektiven Maßstäben. Maßgeblich ist, ob ein verständiger Durchschnittsmensch die Einwirkung als erheblich empfindet. Die Gerichte berücksichtigen dabei auch die Interessen der Allgemeinheit, etwa an einer kinderfreundlichen Umgebung, setzen dieser Toleranz aber klare Grenzen, wenn der Lärm nicht mehr sozialadäquat ist.

2. Anspruchsgrundlagen und Anspruchsgegner
2.1. Ansprüche gegen den Vermieter
Mieter können bei erheblichen Lärmbelästigungen, die den Gebrauch der Mietsache beeinträchtigen, einen Anspruch auf Mietminderung geltend machen. Voraussetzung ist, dass die Lärmbelästigung einen Mangel der Mietsache darstellt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Lärmquelle dauerhaft oder wiederholt auftritt und die Gebrauchstauglichkeit der Wohnung beeinträchtigt wird.
Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt klar, dass eine Mietminderung auch bei von außen kommenden Lärmquellen (z.B. Baustellenlärm vom Nachbargrundstück) möglich ist, sofern der Vermieter nicht in der Lage ist, die Störung abzuwehren oder einen Ausgleichsanspruch gegen den Störer geltend zu machen (BGH, Urteil vom 29.04.2015, VIII ZR 197/14 – „Bolzplatzentscheidung“).

2.2. Ansprüche gegen den Störer (Nachbarn, Dritte)
Gegenüber dem unmittelbaren Störer – etwa einem lärmenden Nachbarn – kann der Betroffene einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Dieser Anspruch richtet sich auf die Unterlassung weiterer Lärmbelästigungen und kann im Wege einer Abmahnung und, falls erforderlich, durch Klage durchgesetzt werden. Die Anspruchsgrundlage ist das Eigentumsrecht des gestörten Nachbarn.

3. Darlegungslast und Beweislast: Wie wird Lärmbelästigung nachgewiesen?
3.1. Anforderungen an die Darlegung
Die Darlegungslast liegt zunächst beim Betroffenen. Er muss die Lärmbelästigung substantiiert vortragen, d.h. Art, Umfang, Häufigkeit, Tageszeit und Dauer der Störung schildern. Pauschale Behauptungen („ständig laut“, „unerträglich“) genügen nicht. Vielmehr ist ein detaillierter Sachvortrag erforderlich, der dem Gericht eine Bewertung der Störung ermöglicht (vgl. BGH, Beschluss vom 1.6.2017, VIII ZR 155/11).

3.2. Lärmprotokoll als zentrales Beweismittel
Das Führen eines Lärmprotokolls ist in der Praxis unerlässlich. In diesem Protokoll werden Datum, Uhrzeit, Art und Dauer der Lärmbelästigung sowie ggf. anwesende Zeugen festgehalten. Das Lärmprotokoll dient als Grundlage für die gerichtliche Beweisaufnahme und ist häufig entscheidend für den Prozesserfolg.
Die Rechtsprechung verlangt zwar nicht zwingend ein Lärmprotokoll, hält es aber für das beste Mittel, um die eigene Position zu untermauern (vgl. BGH, VIII ZR 155/11). Ergänzend können Zeugen benannt oder – bei technischen Möglichkeiten – Messprotokolle vorgelegt werden.

3.3. Beweislastverteilung
Im Prozess trägt der Kläger die Beweislast für das Vorliegen der Lärmbelästigung. Gelingt ihm der Nachweis, ist es Sache des Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass die Lärmeinwirkung sozialadäquat oder ortsüblich ist oder dass die behaupteten Störungen nicht von ihm ausgehen (vgl. LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, 6 S 40/07).

4. Strategische Überlegungen: Gegen wen sollte man vorgehen?
Die Wahl des Anspruchsgegners hängt maßgeblich von der Beweislast und den Erfolgsaussichten ab.
4.1. Vorgehen gegen den Vermieter
Ein Vorgehen gegen den Vermieter ist dann sinnvoll, wenn die Lärmbelästigung von Dritten (z.B. Nachbarn, Baustellen) ausgeht und der Vermieter keine Abhilfe schafft. Der Mieter kann die Miete mindern und ggf. auf Beseitigung des Mangels klagen. Der Vermieter kann sich entlasten, wenn er nachweist, dass er gegen den Störer keine Abwehr- oder Ausgleichsansprüche hat (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2015, VIII ZR 197/14; LG Hamburg, Urteil vom 21.12.2018, 316 S 71/18).

4.2. Vorgehen gegen den Störer
Ist der Störer bekannt und greifbar (z.B. Nachbar im selben Haus), empfiehlt sich zunächst eine außergerichtliche Abmahnung. Bleibt diese erfolglos, kann auf Unterlassung geklagt werden. Die Beweislast für die Störung liegt beim Kläger, weshalb ein Lärmprotokoll und Zeugen besonders wichtig sind.

4.3. Kombination beider Wege
In vielen Fällen ist es ratsam, parallel gegen den Vermieter (Mietminderung, Mängelbeseitigung) und gegen den Störer (Unterlassung) vorzugehen. Dies erhöht den Druck auf alle Beteiligten und verbessert die Erfolgsaussichten.

5. Das gerichtliche Verfahren: Ablauf und Besonderheiten

5.1. Außergerichtliche Schritte
Vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens sollte stets versucht werden, die Angelegenheit außergerichtlich zu klären. Dies kann durch ein Gespräch, eine schriftliche Abmahnung oder die Einschaltung eines Schlichters erfolgen. In manchen Bundesländern ist ein Schlichtungsverfahren vor Klageerhebung sogar verpflichtend (z.B. NRW, § 15a EGZPO i.V.m. JustG NRW).

5.2. Klageverfahren
Kommt es zur Klage, ist der Ablauf wie folgt:
1. Klageerhebung: Der Kläger schildert die Lärmbelästigung substantiiert und legt das Lärmprotokoll sowie ggf. Zeugenbeweise vor.
2. Klageerwiderung: Der Beklagte bestreitet die Störung oder beruft sich auf Sozialadäquanz/Ortsüblichkeit.
3. Beweisaufnahme: Das Gericht hört Zeugen, nimmt ggf. Sachverständigengutachten ein und würdigt das Lärmprotokoll.
4. Urteilsverkündung: Das Gericht entscheidet, ob ein Unterlassungs-, Minderungs- oder Beseitigungsanspruch besteht.

5.3. Selbständiges Beweisverfahren
Ein selbständiges Beweisverfahren kann sinnvoll sein, wenn die Lärmbelästigung objektiv messbar ist (z.B. durch Schallpegelmessungen). Hierbei wird vorab ein Sachverständigengutachten eingeholt, das im späteren Hauptsacheverfahren verwendet werden kann. Dies bietet sich insbesondere an, wenn die Beweislage schwierig ist oder die Gegenseite die Störung bestreitet.

6. Kosten des Verfahrens und Kostenerstattung
6.1. Gerichtskosten und Anwaltskosten
Die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens setzen sich aus Gerichtsgebühren, Anwaltsgebühren und ggf. Sachverständigenkosten zusammen. Die Höhe richtet sich nach dem Streitwert, der bei Unterlassungsklagen regelmäßig zwischen 2.000 und 10.000 Euro liegt, bei Mietminderungen nach der Höhe der einbehaltenen Miete.

6.2. Kostenerstattung
Die unterliegende Partei trägt die Kosten des Verfahrens. Wird der Störer verurteilt, muss er die Kosten des Klägers (Gericht, Anwalt, Sachverständige) erstatten. Bei teilweisem Obsiegen erfolgt eine Kostenquotelung.

6.3. Kostenerstattung bei mehreren Anspruchsgegnern
Werden sowohl der Vermieter als auch der Störer verklagt, haften diese im Regelfall als Gesamtschuldner für die Kosten, sofern beide verurteilt werden. Andernfalls erfolgt eine Kostenaufteilung nach Obsiegen und Unterliegen.

7. Aktuelle Rechtsprechung im Überblick
Die Rechtsprechung zur Lärmbelästigung ist vielfältig und einzelfallbezogen. Nachfolgend einige Leitsätze aus aktuellen Urteilen:
• Mietminderung bei Baulärm: Auch bei Einhaltung öffentlich-rechtlicher Grenzwerte kann eine erhebliche Beeinträchtigung und damit ein Minderungsrecht bestehen (LG Hamburg, Urteil vom 21.12.2018, 316 S 71/18).
• Beweislastverteilung: Der Mieter muss die Lärmbelästigung substantiiert darlegen und beweisen. Der Vermieter muss darlegen und beweisen, dass er keine Abwehr- oder Ausgleichsansprüche gegen den Störer hat (BGH, Urteil vom 29.04.2015, VIII ZR 197/14).
• Lärmprotokoll: Ein Lärmprotokoll ist das zentrale Beweismittel und sollte möglichst detailliert geführt werden (BGH, VIII ZR 155/11).
• Kinderlärm: Kinderlärm ist grundsätzlich hinzunehmen, es sei denn, er überschreitet das sozialadäquate Maß (LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, 6 S 40/07).
• Selbständiges Beweisverfahren: Bei objektiv messbaren Lärmquellen kann ein selbständiges Beweisverfahren zur Sicherung von Beweisen sinnvoll sein (BGH, Urteil vom 29.04.2020, VIII ZR 31/18).

8. Praxistipps für die erfolgreiche Durchsetzung von Ansprüchen
1. Lärmprotokoll führen: Halten Sie jede Lärmbelästigung detailliert fest (Datum, Uhrzeit, Art, Dauer, Zeugen).
2. Zeugen sichern: Bitten Sie Nachbarn oder Besucher, als Zeugen zur Verfügung zu stehen.
3. Abmahnung: Mahnen Sie den Störer schriftlich ab und fordern Sie zur Unterlassung auf.
4. Vermieter informieren: Setzen Sie den Vermieter über die Störung in Kenntnis und fordern Sie Abhilfe.
5. Mietminderung: Mindern Sie die Miete nur, wenn die Störung erheblich ist und Sie den Vermieter informiert haben.
6. Selbständiges Beweisverfahren: Ziehen Sie ein selbständiges Beweisverfahren in Erwägung, wenn die Beweislage schwierig ist.
7. Rechtsschutzversicherung: Prüfen Sie, ob Ihre Rechtsschutzversicherung die Kosten übernimmt.

9. Fazit
Lärmbelästigung ist ein komplexes rechtliches Problem, das eine sorgfältige Vorbereitung und strategische Überlegungen erfordert. Die aktuelle Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Darlegung und den Beweis der Störung, bietet aber auch effektive Instrumente zur Durchsetzung von Ansprüchen. Ein detailliertes Lärmprotokoll, die Sicherung von Zeugen und die richtige Wahl des Anspruchsgegners sind entscheidend für den Prozesserfolg. Die Kosten des Verfahrens trägt in der Regel die unterliegende Partei, sodass bei erfolgreicher Klage die finanzielle Belastung überschaubar bleibt.

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